Der Kuschelkurs mit dem Establishment brachte also nichts

Jörg Wimalasena, Die Zeit:

Es gibt eine erstaunliche Diskrepanz zwischen der vor allem auf Twitter propagierten Progressivität und Radikalität des squad und dem bereitwilligen Abnicken der politischen Projekte ihrer innerparteilichen Gegenspieler. Dabei könnten die linken Abgeordneten im Repräsentantenhaus wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse ebenfalls jede Maßnahme der Biden-Regierung blockieren und Verbesserungen einfordern. Allerdings haben sie davon bisher noch keinen Gebrauch gemacht.

Kurz vor Zusammentritt des neuen Kongresses im Januar versuchte etwa der Comedian Jimmy Dore – ausgerechnet ebenfalls über Twitter – Bush, Alexandria Ocasio-Cortez und ihre Kollegen davon zu überzeugen, die langjährige Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi nur dann zur Sprecherin des Repräsentantenhauses zu wählen, wenn diese sich im Gegenzug dazu verpflichte, den Gesetzesentwurf zur Einführung einer allgemeinen Krankenversicherung im Parlament zur Abstimmung zu stellen. Natürlich ließe sich der Sinn dieser Maßnahme infrage stellen, denn es gibt bei den Demokraten keine Mehrheit für Medicare for all.

Ocasio-Cortez erteilte der Forderung dementsprechend eine Absage. Erstaunlich war aber ihre Begründung. Statt der forcierten Abstimmung sei es wichtig, „altgediente Progressive in Führungspositionen“ – gemeint waren wohl wichtige Ausschussmitgliedschaften – zu bringen und über „Bewegungsdruck“ von außen die Reform populärer zu machen. Wenige Tage später verlor die Abgeordnete aus New York dann ihren Sitz im Energieausschuss. Der Ausschussvorsitzende Henry Cuellar machte unmissverständlich klar, dass Ocasio-Cortez‘ Unterstützung für linke parteiinterne Herausforderer sie den Sitz gekostet hatte. Der Kuschelkurs mit dem Establishment brachte ihr persönlich also nichts.

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